Wer sagt denn, dass ich stur bin?
Auf diesem Bild zeigt der Esel Miguel seinem Führer ganz deutlich, dass er nicht mehr weitergehen möchte. Was ist passiert?
Miguel steht vor einer schmalen Betonbrücke unter der der Bach Aue entlang fließt. Er kennt diese Brücke noch nicht und weiß nicht, ob sie ihn tragen wird. Außerdem findet er das schnell fließende Wasser bedrohlich. Er bleibt also erst mal stehen, um die Situation in Ruhe zu überdenken. Dieses eseltypische Verhalten macht ihn zu einem idealen Partner für meine Arbeit. Warum ist das so?
Warum Esel?
Einer der Gründe für die Auswahl der Esel ist die Sicherheit im Umgang mit diesen Tieren. Wilde Esel leben in Wüsten und Halbwüsten mit steinigem, unwegsamen Gelände. Bei einer kopflosen Flucht können sie sich in diesem Gelände schwer verletzen. Bei starken Regenfällen in der Wüste entstehen in Sekundenschnelle aus trockenen Bachbetten reißende Flüsse, die die Esel mit sich reißen können. Für den Esel ist es also überlebenswichtig, nicht unüberlegt loszustürmen und sich vor fließendem Wasser in Acht zu nehmen. In einer Situation wie dieser liegt es an dem Eselführer, dem Esel Sicherheit zu geben, ihm zu vermitteln, dass er gut auf ihn aufpasst und dieser ihm in jeder Situation vertrauen kann. Hierzu bedarf es des Aufbaus einer vertrauensvollen Beziehung.
Esel rennen im Gegensatz zu den Steppen bewohnenden Pferden selten kopflos los, sondern bleiben erst mal stehen , beobachten und entscheiden sich dann, was sie tun werden. Hierdurch gibt es wesentlich weniger folgenschwere Unfälle durch Stürze des Reiters oder Umrennen des Führers. Auch neigen sie durch ihre ruhige und besonnene Art weniger als Pferde dazu, beim Führen oder unter dem Reiter los zu stürmen.
Die Esel bieten eine breite Palette an Einsatzmöglichkeiten. Eine davon ist der Einsatz des Esels als Reittier. Das Gefühl getragen und gewiegt zu werden hat eine starke Auswirkung auf die Seele des Reiters. Die Schwingungen der Bewegung trainieren die körperliche Wahrnehmung und Motorik.
Esel haben ein intensives Interesse an den Menschen und ein den Menschen zugewandtes Wesen. Sie bauen sehr schnell ein sehr inniges Verhältnis zu vertrauten Menschen auf und sind gern in ihrer Nähe.
Außerdem sind Esel sehr schöne Tiere, deren Aussehen Menschen schon besonders durch ihre langen, wohlgeformten Ohren und großen vertrauensvollen Augen anzieht. Das weiche Fell lädt dazu ein, den Esel zu berühren und zu streicheln. Esel lieben es von Menschen geputzt und gekrault zu werden. So können wir ganz unkompliziert Körperkontakt genießen. Der offene Blick und das ruhige Verhalten signalisieren Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit, so dass auch ängstliche Personen schnell Vertrauen fassen.
Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen durch das Trainieren mit Eseln
Durch ihre große Neugier gehen Esel freudig auf Menschen zu und signalisieren ihnen, dass sie willkommen sind. Auch sind sie durch diese Eigenschaft, gepaart mit hoher Intelligenz, die die der Pferde übertrifft, leicht zu trainierende Tiere. Hierdurch haben die Kinder und Jugendlichen beim Trainieren der Esel Erfolgserlebnisse und erfahren eigene Kompetenz.
Da Esel hin und wieder nicht sofort unseren Anforderungen folgen, lehren sie uns Geduld. Wenn ein Esel nicht folgen möchte, hat er einen Grund dafür. In den meisten Fällen ist er beunruhigt oder verunsichert und muss erst mal in Ruhe nachdenken, wie er die Situation sicher bewältigen kann. Im Nachdenken und Abwägen einer unsicheren oder unstimmigen Situation kann der Esel denjenigen Kindern und Jugendlichen, die zu stark impulsivem Verhalten neigen, ein gutes Beispiel und Vorbild sein. Wird er beim Nachdenken durch die Ungeduld des Menschen gestört, ist er noch mehr verunsichert und es dauert noch länger, bis er folgt.
Im Gegensatz zu einem Pferd, das einem ranghöheren Tier vertrauensvoll folgt und sich dessen Willen unterordnet, entscheidet ein Esel in jeder Situation eigenständig. Pferde leben in einer Herde mit einer klaren Hierarchie und festen Machtstrukturen. Esel leben auch in Gruppen, in denen es aber kameradschaftlich zugeht und in denen jedes Individuum seine eigenen Entscheidungen treffen darf. An diesem Beispiel kann man mit Kindern und Jugendlichen besprechen, wie wichtig es ist, sich eine eigene Meinung zu bilden und welche Eigenschaften der eigene Freundeskreis hat.
Esel wissen sehr genau, was sie wollen bzw. was sie nicht wollen. Mit Gewalt kann niemand einen Esel dazu bringen, das zu tun, was man will. Mit Eseln muss man verhandeln und sie davon überzeugen, das zu tun, was wir möchten, so dass die Arbeit ihnen und uns Freude bereitet. Diese Eigenschaften lehren die Kinder und Jugendlichen Meinungsverschiedenheiten höflich, einfühlsam, kreativ und vor Allem gewaltfrei zu lösen. Da Esel kameradschaftlich miteinander umgehen, erwarten sie dieses auch von ihrem menschlichen Gegenüber.
Esel sind sehr mitfühlend und gehen sensibel auf die Stimmung ihres Gegenübers ein. Sie erwarten dieses ebenso von ihrem menschlichen Partner. Durch dieses Verhalten kann die Fähigkeit zur Empathie geschult werden.
In ihrer Kommunikation sind Esel klar, eindeutig und mit etwas Anleitung leicht zu interpretieren. An ihrer Körpersprache kann man deutlich ihre Wünsche und Gefühle ablesen, so dass sie gute Lehrer für das Beachten und Verstehen nonverbaler Signale sind.
Ist das Vertrauen der Esel erst einmal gewonnen, fordern sie Beachtung von „ihren“ Menschen. Sie möchten überall dabei sein und bestehen mit aufforderndem Anstupsen auf volle Aufmerksamkeit. Durch ihre eindeutige Körpersprache zeigen die Esel nicht nur ihre Bedürfnisse, sondern auch sehr deutlich, was ihnen gefällt und was nicht. Hierdurch sind die Esel hervorragende Lehrer von Sozialverhalten. Wer sie nicht liebevoll und höflich behandelt, wird von ihnen nicht beachtet. Wer dies aber tut, kann sich selbst in einer positiven Führungsrolle üben und wahrnehmen.
Durch ihre hohe Intelligenz langweilen sich Esel schnell und wollen immer wieder mit neuen Angeboten beschäftigt werden. Dieses fordert die Kreativität und den Einfallsreichtum der Kinder und Jugendlichen. Die Motivation, sich auf unterschiedliche Weise auf dem Trainingsplatz und in der freien Natur zu bewegen, bietet auch den Kindern immer wieder neue und andere Anreize.
Esel verfolgen ihre Ziele durch umfangreiches Nachdenken, Ausdauer und Beharrlichkeit. Hierin sind sie den Kindern ein Vorbild, an dem sie sich orientieren und von dem sie lernen können.
Bei der Pflege so großer Tiere ist voller Körpereinsatz gefragt. Der Stall muss gemistet und Heu und Stroh, sowie Wassereimer getragen werden. Zäune werden umgesetzt und alles, was für das Wohlergehen der Tiere nötig ist, wie z.B. das Ausgraben giftiger Pflanzen auf der Wiese, in die Einheiten eingeschlossen. So werden überschüssige Kräfte sinnvoll eingesetzt und Muskeln trainiert. Die Fürsorge für ein anderes Wesen stimuliert die Selbstfürsorge und lehrt die Übernahme von Verantwortung.
Durch die Auflistung dieser wunderbaren Eigenschaften der Esel könnte der Eindruck entstehen, die Tiere an sich hätten eine therapeutische Wirkung. Natürlich ist ein Tier kein Therapeut. Im Umgang mit einem Tier entstehen aber heilsame und verhaltensverändernde Impulse, die von einer dafür ausgebildeten Fachkraft aufgegriffen und vertieft werden. Die Fachkraft hilft den Kindern und Jugendlichen mit Hilfe der Tiere, die neuen Erkenntnisse und Verhaltensweisen in ihre Persönlichkeit zu integrieren und im nächsten Schritt auf zwischenmenschliche Beziehungen zu übertragen.